Street Art in Köln-Ehrenfeld
Eine der Begleiterscheinungen der Corona-Krise ist ja, dass man langsam hungrig wird. Zuerst war es der Hunger nach persönlichen Begegnungen, jetzt ist es der Hunger nach Kunst und Kultur. Jedenfalls beobachte ich das bei mir gerade. Es ist ja nicht so, dass ich jede Woche an einer anderen Vernissage teilgenommen hätte, bevor das Virus unseren Alltag bei den Hörnern packte, oder dass ich eine Kennerin der aktuellen Kunstszene bin. Aber als neugieriger Mensch schaue ich mir gerne ab und zu etwas an. Dabei halte ich mich auch mal jenseits des kulturellen Mainstreams auf. Wohnzimmerkonzerte, Werke von zeitgenössischen Künstlern, Kabarettisten auf kleinen Bühnen – solche Events interessieren mich besonders. Kunst hautnah, das hat am meisten Potenzial, mich zu berühren. Das können die Ausstellungen des örtlichen Kunstvereins sein, Lesungen im Café oder kleine Konzerte. Am besten begleitet bzw. erläutert von jemandem, der sich in der jeweiligen Szene richtig gut auskennt.
Allerlei Politisches und gute Wünsche
Auf der Suche nach einem kulturellen Erlebnis dieser Art – sommertauglich unter freiem Himmel – bin ich jetzt auf eine Tour gestoßen, die für mich vielversprechend klang: Street Art in Köln-Ehrenfeld. Ehrenfeld ist ein Viertel im Kölner Westen mit einer lebendigen multikulturellen Szene. Hier befindet sich vieles im Wandel: Traditionelle Clubs haben geschlossen, Läden stehen leer, viele Start-ups siedeln sich hier an, große Baustellen zeugen von Veränderungen. Ein Viertel, das auch stark geprägt ist von Gentrifizierung, also Umstrukturierung durch Mieterhöhungen. Und mittendrin eine Menge Kunst auf Häusern, Bahnhofsmauern, in Unterführungen, auf Schildern. Riesengroße Bilder von Street-Art-Gruppen, sehr kleine Werke von Einzelkünstlern, die sich in der Szene einen Namen gemacht haben. Da sieht man allerlei Gemaltes, Werke aus Stoff, Draht oder Keramik und bunte Sticker in Hülle und Fülle. Politische Statements – versteckt oder ganz offen – neben guten Wünschen für die Passanten, jeder Künstler hat seinen ganz eigenen Stil.
Aufmalen, Überkleben, Entfernen
Ich bin beeindruckt von der bunten Mischung, die sich meinen Augen bietet. Und auch von den detaillierten und humorvollen Ausführungen der Tour-Führerin Eva, die sich sehr schnell als gute Kennerin der Szene erweist. So erfahren wir Interessantes über legale und illegale Straßenkunst, über das oft „geheime“ Hobby vieler Künstler und über die Dos and Don’ts der Szene. Wir schlendern von fingergroßen Kreaturen zu großformatigen Murals und hören von Eva Entstehungsgeschichten und viel Kurioses über das Aufmalen, Anbringen, Überkleben und Entfernen von Street Art. Eine Kunst, die dem steten Wandel unterliegt, irgendwie sehr passend zu diesem Viertel. Und als Eva mit einem Zwinkern kommentiert: „Man weiß nie genau, wie lange dieses Werk noch hier zu sehen sein wird, also feiert es JETZT!“, denke ich: Das passt ja perfekt in die aktuelle Zeit, die geprägt ist von Veränderungen und Ungewissheit. Was viele von uns jetzt lernen müssen auszuhalten, ist für Street-Art-Künstler und Sprayer längst Alltag.
Illegales, Auftragskunst und Festival-Werke
Straßenkünstler wie Joiny, MEOW oder PlanetSelfie leben damit, dass ihre Kunst vielleicht entfernt, überklebt oder sogar ergänzt wird. Dagegen freuen sich Hausbesitzer, wenn ihre zur Verfügung gestellte Wand von international bekannten Street-Art-Künstlern, wie z.B. der Gruppe Captain Borderline, ein individuelles Gesicht erhält. Das wird dann natürlich auch gerne bewahrt. Kunst im öffentlichen Raum ist auch in dieser Hinsicht sehr vielfältig. Wir sehen auf der Tour Illegales, Auftragskunst und Festivalwerke, auch Marketing-Experten und Kleinunternehmer haben sich das Thema Street Art zu eigen gemacht. Für jeden, der mit offenen Augen die vielen Kleinigkeiten auf (oder neben) den Bildern entdeckt, ist etwas Spannendes dabei. Immer wieder bleiben wir stehen und staunen über so viel Einfallsreichtum, Witz und Umsetzungsenergie. Und freuen uns über das bunte Stadtbild eines Kölner „Veedels“, das vom vielfältigen Mix an Straßenkunst nicht nur profitiert, sondern ihm offensichtlich auch Raum gibt. Offenheit, Toleranz, kreative Vielfalt, politischen Ausdruck, Hintergründiges und Humor – all das verkörpert die Straßenkunst in Köln-Ehrenfeld, von der ich euch hier ein paar Ausschnitte präsentiere. Wie sieht’s aus, habt ihr jetzt Spaß an Street Art bekommen? Dann geht doch selbst mal auf Entdeckungstour! Oder schaut euch große Werke im Netz an. Sehenswert ist auch dieses YouTube-Video zum Werk „Surveillance of the fittest“ (s.u.)! Weitere Fotos von mir gibt’s auf Instagram.
