Vorstellungsgespräche folgen immer einem bestimmten Muster? Die Fragen an den Bewerber/die Bewerberin sind im Grunde immer ähnlich? Viele gut gemeinte Ratgeber und Video-Tutorials zu diesem Thema gehen von dieser Annahme aus. Oft sind es die HR-Professionals, die Personaler, die hier einen Einblick in ihr Metier geben. Aber mal ganz ehrlich: Wie viele der Tippgeber haben selbst mal bei den unterschiedlichsten Unternehmen vorgesprochen? Haben sich auf die „andere Seite“ begeben und eigene Erfahrungen in ihre „Leitfäden für das erfolgreiche Vorstellungsgespräch“ einfließen lassen?
Wenn man, wie ich, mit mehreren Dekaden Joberfahrung durchs Leben geht, sammelt sich unter Umständen auch eine ganz schöne Anzahl an Vorstellungsgesprächen an. Ich schätze die Anzahl meiner Gespräche mittlerweile auf ca. 20. Erfolgreiche und nicht erfolgreiche, anregende und sehr unangenehme, lustige und sehr konventionelle, fast biedere Gespräche. Aber eins ist sicher: Kein Gespräch war wie das andere, nur wenige der in den Tutorials erwähnten Fragen wurden tatsächlich gestellt. Da fällt mir eigentlich nur eine einzige Frage ein: „Auf welches berufliche oder private Projekt sind Sie besonders stolz?“ Na das kann man eigentlich auch aus dem Stehgreif beantworten, oder? Aber kein Tutorial hat mich auf die Frage vorbereitet „Wenn Sie ein Bild von sich malen würden, wie sähe es dann aus?“ Eine solche Frage kann man nur auf eine einzige Art beantworten, fand ich, nämlich mit Humor. Vorstellungsgespräche können lustig sein, vielseitig sind sie auf jeden Fall.
Auf Socken, im Park oder mit Maske
Wenn ich mich an meine Vorstellungsgespräche erinnere, sehe ich ein Kaleidoskop verschiedener Situationen. Da gab es das ungezwungene Gespräch in der Chill-Lounge – auf Socken – oder die anregende Unterhaltung während eines Spaziergangs im Park. Es gab kurzweilige Dialoge in gemütlichen Mini-Büros oder Befragungen durch mehrere Personen in Konferenzräumen. Da war – coronabedingt – die Online-Situation oder das Gespräch mit FFP2-Maske. Es gab Menschen, die neugierig waren auf mich und Personen, die mir schlecht zuhörten, meine Fragen kaum beantworteten. Es gab Online-Tests vorweg und unangekündigte Prüfungssituationen, sogenannte „Assessment-Center“ mit vielen Fach-Aufgaben. Im fortgeschrittenen Bewerbungsprozess, d. h. in den zweiten Runden, habe ich viele Versprechungen gehört, bei Rundgängen durch die Häuser auch Negatives aufgeschnappt. Mir wurden Verträge vorgelegt, die mit dem Besprochenen wenig zu tun hatten, Nachbesserung war nicht immer möglich. Ach ja, und das Feedback zum Vorstellungsgespräch ließ unter Umständen auf sich warten, und zwar sehr viel länger als angekündigt. Wer ein sehr vielversprechendes Bewerbungsgespräch absolviert hat, weiß, wie sehr man danach auf „glühenden Kohlen“ sitzt.
Erstaunlich, wie wenig Empathie manche Menschen mitbringen, die sich professionell mit „Human Resources“ beschäftigen. Andere wiederum verhalten sich sehr freundlich, ehrlich und wertschätzend. Rückblickend kann ich feststellen, dass tatsächlich eher die konventionellen, gestandenen Unternehmen eine weniger wertschätzende Haltung an den Tag legten. Sie vermittelten schnell, schon in den ersten Minuten des Gesprächs, dass ich als Bewerberin nur eine von vielen bin. Manchmal schon durch die Situation im Wartebereich: „Bitte warten Sie hier, bis Sie aufgerufen werden“ stand einmal auf einem Schild. Ob ich tatsächlich eine Nummer ziehen musste, daran erinnere ich mich nicht mehr. Aber es kam mir genau so vor.
Bewerber als Bittsteller?
Unternehmen, die von Gleichaltrigen oder Älteren geleitet werden, tendieren meiner Meinung nach oft immer noch dazu, Bewerber als Bittsteller zu betrachten. Als Wartende in einer Reihe von Jobsuchenden, die zu allem bereit sind, damit sie genau diesen Arbeitsplatz erhalten. Ungeachtet des vielzitierten Fachkräftemangels. Das kommt für mich aus einer anderen Zeit, als Arbeit in erster Linie stark hierarchisch verankert war. Als nur der Arbeitgeber in einem Vorstellungsgespräch über „hop“ oder „top“ entschied und der Kandidat dankend annahm oder gesenkten Hauptes davonzog. Für die nachfolgende Generation ist ein solches Arbeiten nicht denkbar. Hierarchie schon, aber immer verbunden mit Wertschätzung. Und viele Start-ups oder Unternehmen in Veränderung leben diese neue Arbeitswelt vor: Sie bieten Work-Life-Balance, legen Wert auf Gesundheit und Wohlgefühl am Arbeitsplatz. Dazu gehört eben auch das wertschätzende Miteinander. Schon die Stellenanzeigen vieler junger Firmen heben sich von den Anzeigen klassischer Unternehmen in dieser Hinsicht angenehm ab.
Bewerber als Bittsteller – vielleicht ist dies aber auch eine Situation, die insbesondere uns Bestager betrifft: Wir haben das Gefühl zeigen zu müssen, dass wir (noch) fit sind, dass wir Leistung bringen. In einer Arbeitswelt, in der Jüngere uns mit ihrem Tempo überholen. Wir müssen bis 67 arbeiten, sehen aber kaum Menschen in diesem Alter am Arbeitsplatz. Wo ist also unser Platz, wer ist unser Vorbild? Haben wir überhaupt eine Chance auf einen beruflichen Neuanfang? In einer solchen Gefühlslage hörte ich nach einem Vorstellungsgespräch einmal folgenden Satz: „Besser wäre es, Sie würden bei uns anfangen.“ Ich hatte die 50 kaum überschritten, war völlig perplex und vervollständigte den Satz für mich: „… Sie bekommen ja sonst doch nichts.“ Heute weiß ich: Dieser Arbeitgeber-Kandidat hat es auch genauso gemeint. Und ich bin glücklich, dass ich die (auf 8 Monate befristete) Stelle damals ausgeschlagen habe.
Mit Erfahrung punkten
Heute – einige Fortbildungen und Jobs später – habe ich eine selbstbewusstere Haltung. Meine Weiterbildungen, Kenntnisse und Fähigkeiten auf verschiedenen Gebieten rund um das Feld einer Online-Redakteurin machen mich offenbar interessant für Arbeitgeber. Erfahrung und Qualität, das ist es, womit ich punkten kann. Darauf baute ich, wenn ich wieder zu einem Bewerbungsgespräch eingeladen wurde. Und ich habe gelernt, auf mein Bauchgefühl zu achten. Gut ist ein Gespräch nicht nur dann, wenn es zur Einstellung kommt. Sondern dann, wenn es mir ein gutes Gefühl vermittelt. Ein gutes Gespräch zeigt Wertschätzung und Werbung von beiden Seiten. Denn schließlich kommt es auch auf meine Entscheidung für oder gegen diese neue Stelle an. Jedes potenzielle Unternehmen wird auch von mir geprüft, viele merken es nicht einmal. Ich prüfe den Hintergrund des Unternehmens und der offenen Stelle, die Kommunikations- und Kritikfähigkeit meines Gegenübers, die Präsentation meines potenziellen Arbeitsplatzes.
Selbst meine Beraterin der Agentur für Arbeit hat mir dazu geraten, mich nur auf wirklich passende Jobs zu bewerben, das Richtige für mich auszusuchen. In einem längeren Beratungsgespräch ging es auch darum, dass Kandidaten in fortgeschrittenem Alter schließlich oft mit folgender Situation zu kämpfen haben: mit jüngeren Vorgesetzten, die den größeren Erfahrungsschatz und eine evtl. größere Kompetenz der Angestellten oft nicht aushalten können. Insbesondere, wenn die Genderfrage hineinspielt. Männer als Vorgesetzte, die Schwierigkeiten haben, kompetente Frauen zu akzeptieren und ihren Kenntnissen entsprechend einzusetzen – ja, auch in dieser Hinsicht habe ich so meine Erfahrungen gemacht.
7 Tipps für das Bewerbungsgespräch Ü50
Hier also meine 7 Tipps für alle diejenigen, die sich im fortgeschrittenen Lebensalter beruflich noch einmal neu orientieren möchten oder müssen.
- Nutzt eure berufliche Pause für eine Fortbildung. Das macht schon in euren Bewerbungsunterlagen einen guten Eindruck und verschafft euch die Gelegenheit, im Vorstellungsgespräch mit aktuellem Fachwissen zu punkten. Außerdem zeigt es, dass ihr aufgeschlossen seid für Neues. Das kommt immer gut an.
- Stellt eure Berufserfahrung in den Vordergrund und zeigt auf, wie Ihr damit die Arbeit im Unternehmen unterstützen könntet. Natürlich müsst ihr euch dafür eingehend mit dem Unternehmen befasst haben (Website, Broschüren, Social Media). So entwickeln sich manchmal schon recht tiefe fachliche Gespräche.
- Fragt nach Kollegen, Zusammensetzung des Teams, Arbeitsweise, Altersstruktur im Unternehmen, evtl. auch nach Philosophie und Unternehmenszielen. Prüft dabei die Gesprächssituation und wie offen eure Fragen beantwortet werden.
- Schaut euch genau um und lasst euch den potenziellen Arbeitsplatz zeigen. Die Arbeitsplatzsituation (Großraum- oder Einzelbüro, Ausstattung, Klimatisierung, Beschattung etc.) kann Bände sprechen und muss zu euch passen.
- Wer 10 Minuten zu früh zum Gespräch erscheint, hat oft die Möglichkeit, mit Angestellten einen Smalltalk zu beginnen. Auch hierdurch habe ich schon wichtige Informationen erhalten.
- Hört auf euer Bauchgefühl: Wenn Termine nicht eingehalten, Entscheidungen ohne Information verschoben werden, das Bewerbungsverfahren sich in irgendeiner Weise seltsam darstellt, spricht dies nicht unbedingt für das Unternehmen. Firmen, die ihren Bewerbern (und in der Folge Angestellten) Wertschätzung entgegenbringen, handeln transparent und fair.
- Fragt am Ende des Gesprächs ruhig danach, wie viele Bewerber es gibt und wann genau die Entscheidung fällt. Meine Lieblings-Abschlussfrage ist übrigens: Was genau hat Ihnen an meinem Lebenslauf so gut gefallen, dass Sie mich eingeladen haben? Genießt die Antwort, sie zaubert euch garantiert ein Lächeln ins Gesicht!
Ich wünsche euch viel Erfolg bei euren Bewerbungsgesprächen! Gerne könnt ihr auch hier eure Erfahrungen teilen!
Bewerber als Bittsteller – das ist ein Aspekt, den ich auch wichtig finde – nämlich dass es nicht so ist. Ich vergleiche ein Bewerbungsgespräch gerne mit einem ersten Date. Es geht ums GEGENSEITIGE Kennenlernen. Und wenn der erste Eindruck passt, lernt man sich näher kennen. Und irgendwann trifft man dann eine Entscheidung für- oder gegeneinander.
Ja, so sollte es optimalerweise sein. Vielen Dank für deinen Kommentar!